Hans-Ulrich Grimm: Vom Verzehr wird abgeraten: Wie uns die Industrie mit Gesundheitsnahrung krank macht
Der Rächer der Fruchtzwerge
Hans-Ulrich Grimm ist so etwas wie das schlechte Gewissen der Lebensmittelindustrie, der Günter Wallraff der synthetischen Ernährungsmoderne. Seit einigen Jahren bereits recherchiert der Autor im Küchenregal, im Discounter, in der Abfertigungshalle oder im Restaurant, sein grimmiger Nachname ist dabei sprichwörtlich zu verstehen, seine Website food-detektiv.de sagt ebenfalls deutlich, für welche Bestimmung sich der Journalist berufen fühlt.
Sein Bekanntheitsgrad wurde vor allen Dingen durch den mittlerweile schon zum Klassiker erkorenen Kritikbuch „Die Suppe lügt“ gesteigert. Damit hat er nicht nur mit den Illusionen der Tütennahrung Schluss gemacht, sondern auch den Konzernoberen bei Nestle, Knorr oder Unilever das Fürchten gelehrt.
Mit dem neuesten Streich „Vom Verzehr wird abgeraten“ macht er folgerichtig einfach nur so weiter, wo er immer gewesen ist; dieses Mal explizit und ausgerichtet an die unzähligen und unsinnigen Versprechungen, die mit dem Ersinnen des Menschen auf ständige Gesundheit ausgerichtet sind.
Am bekanntesten sind vielleicht die nervigen Actimel-Minijoghurts, die bekanntlich aus nichts weiter als Zucker und raffinierten Molkereiprodukten bestehen, ansatzweise süß schmecken, vor allen Dingen aber durch penetrante Werbung zum Allheilmittel gepriesen wurden.
Genau an der Stelle sollte man anmerken, dass für alle Menschen, die die Tricks dahinter schon immer geahnt haben, dieses Buch genau das Richtige ist.
Grimms Verdienst ist es, die Namen der Protagonisten, egal ob in der Vorstandchefetage oder im Ingenieurbüro nicht zu verheimlichen. Jeder, der seine Finger nur irgendwie im Spiel hat, wird vorgestellt und – das ist das Schöne bei investigativem Journalismus – auch für seine offensichtliche Ausbeutertum an den literarischen Pranger gestellt.
Grimm macht das in Form kleiner Kapitel, die man auch als moderne Novellen bezeichnen könnte. Wie eine unsichtbare Kamera bei der Beobachtung beschreibt er auf den ersten Seiten die Automarken, die Handtaschen und die Parfumnoten, die bei einem Medizinerkongress (der wieder einmal von der Nahrungsmittelindustrie gesponsert wird) vorhanden sind, wer also dort wie gekleidet schauspielert und sich in finanziellen Beschlag nehmen lässt.
Prosaische Darstellung einer skrupellosen Betätigung.
Viele Fakten in dem Buch sind interessant und für bislang Ahnungslose ein gefunden Fressen. Allein der Etat jedes der großen Konzerne, die mit Nahrung Geld verdienen, überragt den Gesamtetat der bundesdeutschen Gesundheitsbehörde, die just jene Konzerne überwachen soll, um ein Vielfaches.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung ist eng mit der Industrielobby verknüpft und bereitet ihre Ratschläge entsprechend aus, und ob Vollkorn, Halbfettmargarine, Bionade oder prokative Wirkstoffe – Grimm deckt das auf, was wir vermeintlich als gesunde Nahrung zu uns nehmen. Von Bio ganz zu schwiegen.
Einig sein Fazit und seine Überlegungen bezüglich Jahrtausende alter Ernährungerkenntnisse (chinesische und ayurvedische Traditionen, denen er ähnlich skeptisch gegenübertritt) hätten etwas klarer und direkter ausfallen können, ansonsten aber erweist er sich auch subsummierend als Mensch, der das empfiehlt, was die Natur vorgibt.
Keine Konzepte, keine Formate, reines naturhaftes Essen, an Wohlbefinden und Sinnlichkeit orientiert.
Fazit:
Wer bislang glaubte, Jesus sei ein Halbgott gewesen und seine Geschichten tradiert, wer die Terroranschläge vom 11. September als Ausgeburt des radikalen Islams ausgemacht hat, der ist wahrscheinlich auch in die Lebensmittelfallen getappt.
Es geht wie bei Jesus und amerikanischen Inside-Jobs immer nur um Machtmissbrauch und soziale Ausbeutung mit der Erfindung von Mythen – diese aufzudecken, gerade wenn das in der vermeintlichen Aufklärung so gar nicht geklappt hat, ist für alle wirklich Interessierten unumgänglich.