Sappho: Und ich schlafe allein: Gedichte
Versuch der Rekonstruktion
Gedichte zu übersetzen ist wohl eine der schwierigsten literarischen Aufgaben, die es überhaupt gibt. Denn statt prosaischer Blüte, die den Inhalt des Gesagten in den Vordergrund stellen will, werden hier Text und Gefühl, Syntax und Symmetrie in ein harmonisches Zusammenspiel gestellt, das in einer anderen Sprache immer nur bedingt funktionieren kann. Je nachdem, wie nah sich die sprachlichen Familien stehen, umso leichter mag es sein. Der Versuch vom Altgriechischen ins moderne Deutsch zu transkribieren, wie es Albert von Schirding in der neu übersetzten Gedichtauswahl der griechischen Lyrikerin Sappho gemacht hat, zeigt diese Problematik anschaulich.
Ganz abgesehen davon, dass viele der Gedichte fragmentarisch vorhanden sind, klafft eine große Lücke zwischen den Weltvorstellungen einer Frau, die vor fast 2700 Jahren gelebt hat und des modernen Zeitgeistes. Allein mit den ausführlichen Erklärungen und einem gelungenen Nachwort gelingt es dem Autor, den Lesern dieses literarische Faszinosum namens Sappho näher zu bringen.
Geboren im 6. vorchristlichen Jahrhundert gilt diese Dame als bedeutende Dichterin der Antike und Urahnin weiblicher, künstlerische Schaffenskraft, was kein Wunder nimmt, denn Literatinnen waren damals und in den folgenden Jahrhunderten so selten wie Geld ohne Besitzer, das auf der Straße liegt. Aufgrund der Hervorhebung erotischer Liebe in ihren Schriften darf sie sich zudem rühmen, Namensgeberin der lesbischen Liebe zu sein, weil ihr Schaffensort eben jene Insel der griechischen Sporaden war.
Eingeteilt in vier Abschnitte versucht der Autor, die Fragmente und Überreste zu ordnen und sie in einen interessanten Kontext zu stellen. Selbstverständlich sind bei den wenigen Überlieferungen, die es überhaupt gibt, keine Erstveröffentlichungen zu finden, sondern die bloße Neuinterpretation gegenüber den zahleichen Übersetzer-Konkurrenten, wie von Schirding sie selber nennt, stehen hier im Vordergrund.
Für Philologen, Althistoriker oder Literaturkenner sicher ein gefundenes Fressen, wenn sie auf die zahlreichen Bezüge zur griechischen Götterwelt und den Vorstellungen jener Zeit treffen, für den lyrisch interessierten Jedermann sind diese Gedichte allerdings schwere Kost, eben auch darum, weil die einzelnen Passagen wie Schiffbrüchige im weiten Ozean unterzugehen drohen. Und eben auch, weil die Übersetzung – ohne dass dies ein Problem des Autors ist – der ursprünglichen Quelle nicht gerecht werden kann. Wer nämlich den griechischen Originaltext, den der Verlag kongenialerweise neben die neue Übersetzung gestellt hat, liest (oder auch nur anschaut), erkennt die mannigfaltigen systematischen und sprachlichen Kniffe, die wie eingangs erwähnt auf der Strecke bleiben müssen.
Fazit:
Als Einstieg in das Werk einer großen Frau mit einem schönen Nachwort und ausführlichen Erklärungen ein gelungener Stich. Als lyrische Quelle, bei denen einem das Herz aufgeht oder die Faszination sich breit macht, wohl nur die schwärmerischen Geister der Antike ein Genuss.