Menura: Prächtiger Vogel Leierschwanz – von Ambrose H. G. Pratt
Es kommt nicht oft vor, dass es ein Buch vermag einen Sog zu erzeugen, noch bevor der Leser auch nur eine einzige Zeile seines Inhalts gelesen hat. Doch manchmal gibt es diese seltenen Kostbarkeiten, an denen vorüberzugehen unmöglich und die nicht zu lieben sehr schwer ist.
MENURA – Prächtiger Vogel Leierschwanz ist ein solches Buch und in seiner Seltsamkeit ein Wunder.
Der Leierschwanz, ein Fabel(-haftes) Tier
Ambrose Pratt nimmt uns in diesem schmalen Band mit in die Welt des prächtigen Leierschwanzes, einem Vogel der in seinen Fähigkeiten einem Fabeltier gleicht, den es aber tatsächlich gibt.
Er lebt in einem schmalen Streifen Australiens und stirbt an jedem anderen Ort der Welt, insbesondere in Gefangenschaft. Viele Ornithologen stellten ihm erfolglos nach, denn er ist scheu und verfügt über eine seltene Gabe: er kann alles was er hört perfekt imitieren.
Niemand kann sagen was ihn motiviert das Brummen einer Motorsäge, den Signalton einer Alarmanlage oder auch nur den Gesang anderer Vogelarten nachzuahmen. Er kombiniert all dies jedoch zu eigenwilligen Melodien und tanzt dazu seine eigenen Choreographien.
Das Pratt dies berichten kann ist allein einem Zufall geschuldet. Ein Leierschwanz Männchen schloss in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts aus unbekannten Gründen eine Farmerwitwe, Mrs. Edith Wilkinson, in sein Herz und besuchte sie fast täglich.
Mrs. Wilkinson taufte ihn auf den Namen James und die Schilderung der Beziehung dieses ungleichen Paares ist von derart anrührender Art, dass es unmöglich scheint, davon nicht berührt zu werden. Die beiden kamen sich so nahe, wie wohl kein anderes Exemplar dieses Vogels jemals einem anderen Menschen. Ihre Beziehung, so eng sie auch war, blieb jedoch stets eine, die auf Respekt und Unabhängigkeit gründete.
So gab der Leierschwanz herbeigeeilten Forschern einerseits zwar er eine Kostprobe seines Singens und Tanzens und als ihn Mrs. Wilkinson darum bat auch noch eine weitere Zugabe, als sie ihn jedoch mit seinen Lieblingskörner zu zähmen suchte, tobte er und blieb tagelang verschwunden.
Für dieses Buch, das zwischen poetischer Prosa und Sachbuch changiert muss man kein Ornithologe sein, ja sich nicht einmal besonders für Vögel interessieren und doch schlägt einen diese Geschichte in seinen Bann.
Pratts etwas altmodische, behutsam übersetzte, Sprache, aus der in jeder Zeile Verehrung für den Vogel (und gleichsam Mrs. Wilkinson) mitschwingt, schafft nicht mehr und nicht weniger als eine gänzlich unkitschige Darstellung von Freundschaft und der Kostbarkeit der Wunder der Natur.
Ein Buch das es eigentlich nicht geben dürfte
Einen nicht unerheblichen Reiz dieses Buches macht seine Edition aus. Allein Einband, Druck und Papierauswahl verraten eine Liebe zum Detail, das der Massenware Buch heute leider vielfach abhanden gekommen ist.
Hilfreich und entzückend ist zudem die beigelegte CD, mit der man den Gesang des Leierschwanzes ins Haus und Herz holen kann. Erschienen ist es in der „Friedenauer Presse“, einem dieser kleinen Verlage in denen (vermutlich) mit größerer Hingabe zu Büchern, als ökonomischem Sachverstand gearbeitet wird, so dass jede Veröffentlichung an sich schon an ein Wunder grenzt.
In diesem Fall kommen jedoch noch einige Seltsamkeiten hinzu: Dem Verlag war es beispielsweise nicht möglich die Rechte an Pratts Text zu erwerben, weil deren Inhaber unbekannt ist.
Das dieser 1933 geschriebene Text überhaupt wieder auftauchte, ist Elias Canetti zu verdanken. Dieser bemerkte einmal nebenbei, das er damit eine enge Freundin über den Tod eines Freundes hinwegtrösten und ihr sogar das Lachen wieder schenken konnte.
Und schließlich ist die Vita des Autors herrlich verworren und ambivalent. Vom Rechtsanwalt über das Schreiben von Räuberpistolen hin zum Generalkonsul und Kämpfer für die Rechte der Schwarzen nahm Ambrose Pratts Leben einige überraschende Wendungen.
Das nun schließlich sein Bekenntnis zum Leierschwanz die Zeit überdauert ist dabei nicht die schlechteste Pointe.
Fazit
Dieses Buch ist im wahrsten Sinne für jene, die einen Vogel haben: die sich wie Geier auf seltene bibliophile Objekte stürzen müssen, deren Meise darin besteht zwischen zwei Buchdeckeln ganze Welten entdecken und erträumen zu können, die wie Aschenputtels Tauben in der Flut der Buchveröffentlichungen „die Guten ins Köpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen“ verbringen und die gleich dem prächtigen Vogel Leierschwanz fremde Worte und Klänge zu einem eigenen Tanz zu verdichten in der Lage sind. <<Empfehlenswert>>