Gunna Brieghel-Müller: Eutonie – Praktische Anwendung in Entspannung und Bewegung
Wahres Körperverständnis
Wie bei vielen anderen, gewinnbringenden bewegungstherapeutischen Verfahren, hat auch die von Gerda Alexander entwickelte Eutonie eine mittlerweile lange Tradition. Hervorzuheben ist dieser historische Aspekt vor allen Dingen deshalb, weil die Notwendigkeit derlei Wissens umso dringlicher erscheint, ihre Anwendung aber nach wie vor marginal reüssiert. Ob Elsa Gindler, Dore Jacobs oder Moshe Feldenkrais: gemeinsam haben sie mit Gerda Alexander einen fast schon paradoxen Status, nämlich den eines wirklichkeitsnahen, lesenswerten und unheimlich nützlichen Vermittlers, den die Wenigsten hören wollen. Doch diese wenigen sind immerhin offen und werden begeistert diese deutsche Erstauflage aufsaugen wie ein Schwamm.
Fast schon selbstredend zeichnet sich der Hans-Huber-Verlag aus der Schweiz (wo die Autorin Leiterin einer Eutonie-Schule war) für diese Veröffentlichung aus, denn hier finden seit Jahr und Tag Menschen mit echter Anteilnahme an Verkörperung, Bewegung und konsequenter Psychosomatik (also genau das, was die vermeintliche psychosomatische Medizin NICHT kann) ein hervorragendes Forum. Die Klassiker der Körperarbeit sind hier zu Hause oder um es pathetisch zu formulieren: in diesem Verlag erscheinen Publikationen, die es einem ermöglichen nach Hause zu kommen, nämlich nach Hause in den Körper als ganzheitliche Basis des Daseins.
Die Eutonie bedeutet wörtlich übersetzt gute Spannung oder harmonische Spannung und bezieht sich auf die Tatsache, dass es physiologisch betrachtet im Menschen ja keine Entspannung oder Nichtspannung geben kann, sondern nur eine ökonomisch sinnvolle Spannung, den sogenannten Ruhetonus. Dieser noch vor dem zweiten Weltkrieg von Gerda Alexander entdeckte Zusammenhang wurde an anderer Stelle völlig zurecht (vergleiche hier das 2013 erschienen Buch Die Studio-Bewegung von Marco Gerhards) als einer der von der Schulmedizin sträflich vernachlässigten oder vergessenen Sinne bezeichnet – der Spannungssinn ist erfahrbar und in den meisten Fällen der Eutonie über Kontakt und Berührung (innen wie außen) zu regulieren.
Auf jenes Feld geht die dänische Autorin Gunna Brieghel-Müller grundlegend, theoretisch wie praktisch, ein. Ein großer Teil des Werkes beschäftigt sich mit den von Alexander entwickelten Kontrollstellungen, die man vermeintlich als Dehnübungen klassifizieren möchte, die aber vielmehr den normalen Tonus der Muskulatur anzeigen wollen. Wunderbar sind in diesem Buch im Gegensatz zu Alexanders eher theoretischen Schriften die kleinschrittigen, didaktisch nachvollziehbaren und federleichten praktischen Anwendungen, die zur Verbesserung der Kontrollstellungen führen. Dazu bietet die Autorin auch eine ganze Reihe logischer Zeichnungen, die aus diesem Werk einen reichhaltigen Schatz für die praktische Arbeit machen.
Auch dem Durchströmen, den instinktiven Bewegungen (wie Gähnen oder Dehnen) und vor allen den willentlichen Bewegungen (Dehnen, Zeichnen) wird im weiteren Verlauf des Buches der Raum gegeben, den sie im Leben selbst einmal hatten. Von dem Verständnis des menschlichen Gehens und der Atmung, die die Autorin aufzeigt, ganz zu schweigen.
Fazit:
Ohne übertreiben zu wollen, aber das was hier an Wort und in Bild dargeboten wird, reicht mal wieder (weil es immer wieder vorkommt, dass derlei Schätze gehoben werden) für ein ganzes Leben. Und wieder können wir nur sagen: du musst es aber auch tun. Die Vorlage jedenfalls ist optimal und wir haben Bescheid gegeben, der Rest ist dann freier Wille oder vielmehr: Aufbruch in die Freiheit.