Chinesen spielen kein Mao-Mao: Geschichten aus meinem Land von Xinran
Die Autorin
Xinran, 1958 in Beijing geboren, arbeitete viele Jahre als Radiomoderatorin. 1997 verließ sie China und lebt seitdem mit ihrem englischen Mann Toby und ihrem Sohn PanPan in London. Sie hat mehrere Bücher geschrieben, im Westen wurde sie vor allem durch ihre gesammelten Lebensgeschichten chinesischer Frauen bekannt, die unter den Titeln „Verborgene Stimmen“ und „Die namenlosen Töchter“ veröffentlicht wurden. 2005 folgte „Himmelsbegräbnis“, die Geschichte einer Chinesin, die in Tibet ihren verschollenen Mann sucht und dabei die tibetische Lebensart und Kultur kennenlernt.
Wie China wirklich ist
Wie China wirklich ist, sollen die in diesem Buch gesammelten Essays und Geschichten erklären. Der Anspruch ist ein bisschen zu hoch gegriffen. Die einzelnen Geschichten sind ihre gesammelten Radiobeiträge, locker-flockig erzählte Geschichtchen zu kulturellen Unterschieden und zu Begebenheiten, die die Autorin erlebte. Sicher sehr schön als Textbeiträge im Radio, unterhaltsam, zum Teil auch erhellend, mancher Aha-Effekt ist dabei, aber alles in allem ist der Band zu nachlässig zusammengestellt und zu belanglos. Es fehlt der rote Faden, warum sind diese Geschichten ausgewählt worden für den Sammelband, warum nicht andere?
Zwei Geschichten zum Beispiel befassen sich mit den Unterschieden von westlicher und chinesischer Kunst bzw. Malerei und verweisen auf Ausstellungen, die vor Jahren (in einem Fall 2005) in London zu sehen waren. Das ist heute nicht sehr hilfreich. In vielen Erzählungen weist Xinran auf die von ihr gegründete Hilfsorganisation MLB hin, The Mothers‘ Bridge of Love, eine in England registrierte Organisation (im Anhang finden sich Adresse, Registriernummer und Bankverbindung), die sich um kulturelle Kontakte von adoptierten chinesischen Kindern und ihrer Adoptiveltern im Westen mit China kümmert. Die mehrfache Nennung und immer wieder neue Erklärung verstimmen den Leser, so etwas hat in Radiobeiträgen aber sicher seine Berechtigung. Ein sorgfältiges Lektorat hätte hier vieles verbessern können.
Fazit
Man merkt dem Buch an, dass es ein „Schnellschuss“ ist, der ganz offensichtlich auf der Chinawelle anlässlich des Gastlandauftritts von China bei der letzten Frankfurter Buchmesse mitschwimmen sollte. Schade, dass hier einiges an Möglichkeiten verschenkt wurde, denn beispielsweise die Erkenntnis warum Chinesinnen auch bei größter Hitze Strümpfe tragen ist interessant, amüsiert den Leser und sagt eine Menge über chinesisches Lebensgefühl aus. Die Merkwürdigkeiten des chinesischen Alltags sind es doch, die den Leser interessieren – und die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn man in eine fremde Kultur eintaucht. Witzig ist hier die Beschreibung der ersten Taxifahrt zweier Chinesinnen in London – und das gründliche Missverstehen der Absichten des Taxifahrers.
Erhellend für den Leser ist auch, wie stark die Propaganda in China die Anschauungen der Menschen prägt, so stark, dass selbst im 21. Jahrhundert eine gebildete, im Westen lebende Chinesin es nicht fertigbringt, Maos Gesicht auf dem Geldschein absichtlich zu manipulieren. Für solche Einblicke in das wirkliche China ist man Xinran dankbar und dafür lohnt es sich auch, dieses Buch zu lesen. Aber es fällt wegen seiner oben genannten Mängel eher unter die Rubrik „leichte Bettlektüre“ – und das ist eigentlich schade.