Boxhagener Platz von Torsten Schulz
Inhalt
Oma Otti hängt der zweifelhafte Ruf an, die Männer ins Grab zu bringen. Schließlich war sie schon fünfmal verheiratet, und alle ihre Ehemänner hat Oma Otti überlebt. Nun ist sie bereits zum sechsten Mal verheiratet, doch der „aktuelle“ Ehemann von Oma Otti, Rudi, hat seine besten Zeiten auch schon hinter sich. Ist es da verwunderlich, dass Oma Otti sich schon einmal „umschaut“? Doch Oma Ottis Suche nach einem neuen Mann wird eines Tages jäh unterbrochen: Der alte Fischhändler Winkler wird umgebracht – mit einer Bierflasche.
Im Viertel rund um den Boxhagener Platz geht es daraufhin drunter und drüber, und die Spekulationen um den Tod von Fisch-Winkler schießen alsbald wild ins Kraut. Wurde Fisch-Winkler aus Eifersucht umgebracht? Oder handelt es sich bei dem Mord gar um ein Komplott aus dem Westen? Einige Bewohner des Viertels, darunter Karl Wegener, der neue Liebhaber von Oma Otti, versuchen Holger, dem Ich-Erzähler des Romans jedenfalls weiszumachen, dass für den Mord nur die „wahren Kommunisten“ aus dem Westen verantwortlich sein können.
Wer diese „wahren Kommunisten“ eigentlich genau sind, weiß Holger selbst nicht so genau, er hat nur gehört, dass die Studentenrevolten in West-Deutschland von diesen Leuten angeführt werden. Von all diesen Dingen erzählt „Boxhagener Platz“ – es geht um einen mysteriösen Mord, um die politischen Zustände im Ost-Berlin der späten 60er Jahre und nicht zuletzt um viele skurrile Gestalten, die sich in diesem Ost-Berlin eingerichtet haben.
Ein reichlich turbulenter und zum Brüllen komischer Ostberlin-Roman
Torsten Schulz legt mit „Boxhagener Platz“ einen Debütroman vor, dessen Handlung zwar ausschließlich in Ost-Berlin stattfindet, jedoch grenzt sich der Roman dabei wohltuend von den momentan populären, aber häufig leider nicht wirklich lesenswerten „Ostalgie-Werken“ ab. Dem Autor gelingt es immer wieder, die politischen Verhältnisse und Ereignisse in Ost- und West-Deutschland am Ende der 60er Jahre mit spitzen Bemerkungen zu karikieren, doch Schulz versteht es, niemals zu tief in den Bereich der Politik „abzudriften“.
Die Geschichte rund um die Familie von Holger, die im Wesentlichen aus seinen Eltern und der spitzzüngigen Oma Otti besteht, steht dabei stets im Mittelpunkt der Erzählung, und die Bemerkungen über die politische Situation des Landes sind vielmehr „Einordnung“ als Analyse oder Bewertung. Desweiteren ist der Roman im Grunde auch viel zu skurril und urkomisch, um als „gesellschaftskritisches Werk“ durchgehen zu können. Wie Schulz die Kindheitserlebnisse von Holger und seinen Freunden auf beeindruckend authentische und dennoch äußerst amüsante Weise beschreibt, wie er die einzelnen Charaktere gleichzeitig lebensecht und drastisch überspitzt darstellt und wie er einem relativ tristen Viertel Leben einhaucht – das ist große Kunst.
Fazit
Dem Roman „Boxhagener Platz“ gelingt das, was der Verfilmung des Romans leider nicht gelingt: Er beschreibt ein Stück ostdeutsche Zeitgeschichte, ohne dabei auf den „ausgelutschten Ostalgie-Zug“ aufzuspringen. Eine willkommene literarische Abwechslung zum üblichen „Ostberlin-Revival-Einheitsbrei“, kurzum: Ein leicht zu lesender, amüsanter und abwechslungsreicher Roman – empfehlenswert!