Roter See von Sandra Herrler
Inhalt
Der junge Familienvater Christian Pfeifer hat ein Leben, mit dem er rundum zufrieden sein kann – eine hübsche Ehefrau, die ihn umsorgt, ein Job, der es ihm erlaubt, selbst seine Arbeitszeiten zu bestimmen, und drei Kinder, die ihn mögen und als liebevollen Vater schätzen. Doch plötzlich geschieht das Unfassbare: Christians Ehefrau Anja begeht Selbstmord – und nicht einmal der Ehemann hat für den tragischen Vorfall eine Erklärung. Tiefe Trauer erschüttert das Dorf, in dem die Pfeifers leben. Doch langsam wird klar: Die Ehe der Pfeifers war bei weitem nicht so „glücklich und harmonisch“, wie es nach außen hin den Anschein hatte. Und warum kann sich Christian partout nicht an die letzten zwei Stunden, die dem Tod seiner Ehefrau vorausgingen, erinnern?
Hat er doch etwas mit dem Tod seiner Frau zu tun, und sein Gehirn versucht nun, das Erlebte zu verdrängen? Die Ereignisse machen Christian auch körperlich zu schaffen. Als er eine Erkältung und hohes Fieber bekommt, wird er von grauenhaften Fieberträumen heimgesucht. Doch auch nachdem die Erkältung bereits abgeklungen ist, wird Christian weiter von merkwürdigen Träumen und Visionen verfolgt – immer wieder erscheint ihm seine tote Ehefrau Anja im Traum und stellt ihm Fragen, die er nicht beantworten kann. Und auch eine merkwürdige Stimme spricht immer wieder zu Christian.
Auch Kerstin, Christians Schwägerin, die sich nach dem Tod von Christians Frau und ihrer Schwester um den Haushalt und die Kinder gekümmert hat, macht sich zunehmend Sorgen um Christian. Denn dieser wird nicht nur von Visionen und Alpträumen verfolgt, sondern er distanziert sich auch immer mehr von seinen eigenen Kindern – und die Kinder fürchten sich zunehmend vor ihrem eigenen Vater. Christian begreift seine Gedanken bald selbst nicht mehr, und auch die Kinder und Christians Schwägerin können Christians merkwürdiges Verhalten bald nicht mehr rational nachvollziehen. So sieht Christian schließlich nur noch einen Ausweg: Er bringt seine Schwägerin, seine eigenen Kinder und schließlich sich selbst um. Doch war er wirklich nur ein skrupelloses Monster? Oder verkörpert der Täter nicht auch ein Opfer? Erst ein genauer Blick hinter die Fassade des idyllischen Dorf- und Familienlebens zeigt schließlich die wahren Hintergründe der Tragödie…
Ein düsterer und erschreckend realistischer Thriller über menschliche Abgründe und die Macht von Gedanken
„Roter See“ ist der bisher dritte Roman von Sandra Herrler. Das dritte Werk der Autorin ist gleichzeitig ihr erster Thriller. Auch wenn der Thriller den Ausgang der Handlung bereits im Klappentext „verrät“, gelingt es der Autorin, die Spannung über die 234 Seiten des Romans zu halten. Auch wenn der Leser bereits von Anfang an weiß, welche Tragödie der Selbstmord einer jungen Mutter auslösen wird, überzeugt die Handlung des Romans. Die Geschichte um die junge Familie Pfeifer wirkt sehr authentisch und nicht auf irgendeine Art und Weise „konstruiert“. Immer wieder beschreibt die Autorin die letzten 2 Stunden im Leben der Anja Pfeifer, fügt dabei Details hinzu oder lässt scheinbar bedeutungslose Dinge plötzlich in einem völlig neuen Licht erscheinen, so dass der Leser ein immer genaueres Bild von der unfassbaren Tragödie bekommt.
Wenn sich die Stimme der toten Anja Anja immer wieder in die Gedankengänge des Hauptprotagonisten „einmischt“, zeichnet dies nach und nach ein anderes Bild von Christian, aber auch von seiner Ehefrau. Gedanken an die Vergangenheit vermischen sich mit Visionen, Rückblenden werden plötzlich zum schrecklichen Blick in die Zukunft – und so bezieht Sandra Herrlers Thriller seine Spannung auch nicht primär aus der Beschreibung der Ereignisse, die der Selbstmord einer jungen Mutter auslöst, sondern aus der Frage, wie und warum es überhaupt dazu kommen konnte. Als die Frage nach dem „Warum“ dann zwar letztlich beantwortet ist, sind damit jedoch noch längst nicht alle Fragen beantwortet – und der Leser muss zu guter Letzt selbst entscheiden, wie er die Ereignisse bewertet, und ob nicht auch der Täter in gewisser Weise ein Opfer war.
Fazit
Sandra Herrler gelingt mit „Roter See“ ein schlüssiger und spannender Thriller, der mit 234 Seiten allerdings einen recht kurzen Vertreter seines Genres darstellt. Der Thriller legt viel Wert auf eine genaue Porträtierung der einzelnen Charaktere und gewährt dabei einen tiefen Einblick in die Psyche des Hauptprotagonisten. Gerade diese „Charakterstudie“ ist ein Stützpfeiler der Handlung, welcher sich durch den gesamten Verlauf des Thrillers zieht. Die Autorin verzichtet bewusst auf eine Unterteilung in „Schwarz und Weiß“ und lässt den Leser somit seine eigenen Schlüsse ziehen. Somit ist der Thriller auch ein Buch, das als „wohltuend anders“ bezeichnet werden kann und es mit der Festlegung auf ein bestimmtes Genre nicht ganz so genau nimmt. Wer bereit ist, den vergleichsweise hohen Preis für diesen kurzen, aber spannenden Thriller einer „Newcomer-Autorin“ am Thrillermarkt zu bezahlen, wird mit einigen Stunden spannenden Lesegenusses belohnt werden.